Stand: 29. September 2021

Das Arbeitsgericht (ArbG) Hamm beschäftigte sich in einem aktuellen Beschluss (Az.: 1 BV 10/20) mit dem Fall der Rechtmäßigkeit der Installation einer Videoüberwachungsanlage im Unternehmen. Dabei setzt sich das ArbG ausführlich mit den Voraussetzungen der Installation von Kameras in den verschiedenen Unternehmensbereichen auseinander und geht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf die Relationen des Eigentumsschutzes des Unternehmens sowie dem Persönlichkeitsrechten der Arbeitnehmer ein. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Videoüberwachungen im Unternehmen greifen arbeitsrechtliche, verfassungsrechtliche sowie datenschutzrechtliche Vorgaben ineinander.

1. Datenschutzrechtliche Einordnung der Videoüberwachung

Unter den Begriff der Videoüberwachung fallen sowohl Videobeobachtungen wie Live-Übertragungen auf Monitore als auch die Videoaufzeichnung, bei der Aufnahmen gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt ausgelesen werden können.

Dabei liegt eine Verarbeitung personenbezogener Daten vor, wenn die einzelnen Personen auf den Bildern eindeutig identifiziert werden können oder bestimmte Merkmale die gefilmte Person identifizierbar machen. Demzufolge bedarf es für die Videoüberwachung einer Rechtsgrundlage, die sich aus den Rechtmäßigkeitstatbeständen des Art. 6 Abs. 1 DSGVO ergeben kann. Gemein haben alle Rechtmäßigkeitstatbestände, dass die Videoüberwachung an einen Zweck (z.B.: Personenschutz, Schutz vor Einbrüchen und Diebstählen) gebunden sein muss, welcher vor Aktivierung der Kameras eindeutig zu bestimmen und festzulegen ist.

Kommt Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO für die Verarbeitung personenbezogener Daten in Betracht bedarf es einer Interessenabwägung zwischen der Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen und den Interessen und Grundrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Personen.

2. Unternehmensbezogene Anlässe für die Installation von Sicherheitskameras

An dem betreffenden Standort des Unternehmens arbeiten 388 Angestellte des Arbeitgebers sowie 50 bis 130 Leiharbeiter. Nach Angaben des Unternehmens kam es in einem Zeitraum von ca. 1,5 Jahren im Bereich Spirituosen und Drogerieartikel zu Diebstählen in Höhe von ca. 60.000,00 EUR. Des Weiteren wurden drei Niederhubwagen im Gesamtwert von ca. 7.500,00 EUR entwendet.

Neben den wirtschaftlichen Schäden durch Diebstähle, sind zudem aufgrund der Nichtbeachtung von Arbeitsanweisungen zur Öffnung von Toren Reparaturkosten an den Innentoren von mehr als 40.000,00 EUR angefallen.

Letztlich sah das Unternehmen seine Zertifizierung nach dem International Featured Standard (IFS) als gefährdet an, wenn keine zumutbaren angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Waren durchgeführt werden.

Um Abhilfe zu schaffen, sollte eine Betriebsvereinbarung über die Installation von Videoüberwachungsanlagen im Innen- und Außenbereich des Betriebsgeländes eingeführt werden. Jedoch war der Betriebsrat nur gewillt einer Videoüberwachungsanlage im Außenbereich zuzustimmen. Letztlich kam mit Spruch der Einigungsstelle am 12.06.2020 eine Betriebsvereinbarung zustande.

3. Regelungen der Betriebsvereinbarung

Aus der Betriebsvereinbarung ergibt sich, dass mit der Videoüberwachung folgende Ziele erreicht werden soll:

  • Gewährleistung eines angemessenen Schutzniveaus des Arbeitgebers sowie seiner Kunden
  • Prävention von Straftaten (Diebstahl und Sachbeschädigung)
  • Aufklärung und Verfolgung von Straftaten
  • Sicherstellung des reibungslosen Ablaufs des Lieferverkehrs
  • Erhaltung der IFS-Zertifizierung

Zur Ausübung des Hausrechts sollen deshalb insgesamt 213 Kameras angebracht werden, davon 105 im Außen- und108 im Innenbereichen. Die Videokameras im Außenbereichs übertragen 24h/Tag Live-Bilder auf Überwachungsmonitore in der Pförtnerloge. Tonübertragungen und-aufzeichnungen sind dabei weder möglich noch zulässig. Zum Zweck der Beweissicherung zeichnen die Kameras durchgehend 24h auf. Ausweislich der Betriebsvereinbarung werden die Aufnahmen je nach Aufnahmebereich nach längstens 7 oder 15 Tagen überschrieben. Die Wiederherstellung der überschriebenen Daten ist technisch nicht möglich.

Die Betriebsvereinbarung enthält Bestimmungen zur Zugriffs- und Einsichtnahmeberechtigung sowie die Einsichtnahme in gespeicherte Sequenzen. Im Übrigen können die passwortgeschützten Daten nur vom Standort Hamm in einem zugangsbeschränkten Raum ausgewertet werden. Die Einsichtnahme soll unter dem Vieraugenprinzip geschehen (Vertreter des Arbeitgebers und des Betriebsrates).

4. Einwendungen des Betriebsrates

Der Betriebsrat rügt, dass die Kameras nicht nur an den Gefahrenschwerpunkten eingesetzt werden und damit eine ständige und verdachtsunabhängige Überwachung der Mitarbeiter stattfindet. Mithin würde ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorliegen.

Des Weiteren äußert der Betriebsrat Zweifel an den Schäden und Diebstählen und bringt zum Ausdruck, dass die Schadenshöhe die permanente Überwachung von 380 Mitarbeitern nicht rechtfertige. Letztlich bezweifelt der Betriebsrat die Abhängigkeit der IFS-Zertifizierung von einer Videoüberwachungsanlage und sieht eine Speicherdauer von sechs Tagen als ausreichend an.

5. Entscheidung des Gerichts

Das ArbG Hamm hat die Betriebsvereinbarung vom 12.06.2020 als unwirksam erklärt.

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer wird geschützt und gefördert, gem. § 75 Abs. 2 S. 1 BetrVG, weshalb auch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) der Arbeitnehmer nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zu beachten ist. Die Rechtmäßigkeit der Beschränkung des APR – durch die Videoüberwachung –  bestimmt sich nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wonach die Videoüberwachung geeignet, erforderlich und angemessen sein müsste. Im Zuge der Interessenabwägung im Rahmen der Angemessenheitsprüfung stehen sich das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum des Arbeitgebers sowie das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs.1 GG gewährleistetet Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer gegenüber. Es gilt zu berücksichtigen wie viele Personen betroffen sind, wie intensiv diese der Beeinträchtigung ausgesetzt sind, ob ein ihnen zurechenbaren Anlass für die Datenerhebung besteht und welche „Persönlichkeitsrelevanz“ die erfassten Daten haben.

Zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit differenziert das Gericht zwischen jedem Zweck und erörtert einzeln die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit:

Zum Schutz des Eigentums hinsichtlich gestohlener Spirituosen und Drogerieartikel bejahte das Gericht zwar die Geeignetheit und Erforderlichkeit, sah jedoch die Installation von Kameras als nicht angemessen an. Vollschichtige Videoüberwachung führt zur permanenten Überwachung der Mitarbeiter. Eine verdachtsunabhängige, vollschichtige Überwachung stellt einen unangemessenen Eingriff in das APR dar. 213 Kameras würden über 400 Mitarbeiter ohne konkreten Anlass bzw. ohne das ein außergewöhnlich hohes Schadensrisiko festgestellt wurde, überwachen. Ein so gravierender Eingriff in das APR kann nicht durch den Ausschluss jeglicher Diebstähle gerechtfertigt werden. Darüber hinaus trifft das allgemeine Risiko des Diebstahls jeden Arbeitgeber, wenn anderen Menschen Zugriffsmöglichkeiten auf sein Eigentum haben.

Hinsichtlich der Schäden an den Innentoren, welche durch Pflichtverletzungen der Arbeitnehmer entstanden sein sollen, bezweifelt das Gericht bereits, ob die Installation von Überwachungskameras dazu geeignet sind Schäden durch evtl. falsche Bedienung der Tore zu vermeiden. Das Gericht geht über diesen Punkt hinweg und stellt fest, dass auch in dieser Zweck der Interessenabwägung nicht standhält und das APR der Mitarbeiter schwerer wiegt als der Eigentumsschutz des Arbeitgebers.

In Ermangelung einer Verhältnismäßigkeit kommt das Gericht zu dem Schluss, dass die Regelungen zur Installierung eines Videoüberwachungssystems im Innenbereich unwirksam sind.

Anders fällt die Beurteilung der Angemessenheit bzgl. von Kameras im Außenbereich der Betriebsstätte aus. Kameras im Wareneingangs und -ausgangsbereich seien geeignete Diebstähle vorzubeugen und unbefugten Zugriff auf Waren oder das Eigentums des Arbeitgebers aufzudecken. Somit kann auch in Bezug auf die IFS-Zertifizierung angenommen werden, dass die Installation einer Videoüberwachungsanlage dazu geeignet ist, die Waren zu schützen.

Im Warenausgangsbereich haben auch Dritte Zugriff auf die Waren, weshalb das Schutzbedürfnis des Unternehmens als besonders hoch anzusehen ist. Der Diebstahlschutz kann nicht auf anderen Wege als mittels Videoüberwachung erreicht werden. Die Beauftragung eines Sicherheitsdienstes kann in Anbetracht der Größe der Betriebsstätte und der Kosten als nicht angemessener eingestuft werden. Die besondere Gefährdungssituation des Unternehmens rechtfertig indes den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer.

6. Fazit

Der Beschluss des ArbG verdeutlicht die Abhängigkeit der Rechtmäßigkeit von Videoüberwachungsanlagen im Unternehmen von ihrem Zweck und der Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO. Besonders hervor tritt die notwendige differenzierte Verhältnismäßigkeitsprüfung der geschützten Rechtsgüter unter Berücksichtigung der einzelnen Zwecke. Eine pauschalisierte Genehmigung von Videoüberwachungsanlagen in Betriebsstätten ist nicht möglich. Vielmehr muss der Zweck für jede Kamera schriftlich dokumentiert werden und im Falle der Rechtmäßigkeit ins Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten aufgenommen werden.

Das ArbG Hamm diskutiert ausführlich die Angemessenheit der in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Videoüberwachung, indem es die Intensität des Eingriffs und das Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe gegenüberstellt.

Gleichermaßen wird deutlich das wirtschaftliche Schäden nicht in jedem Fall eine Überwachung rechtfertigen. So entstand zwar vorliegend ein Schaden von mehr als 100.000,00 EUR (maßgeblich im Innenbereich der Betriebsstätte), die Installation von Videoüberwachung war nichtsdestotrotz als unangemessen angesehen worden.

Das Gericht geht nicht auf den Aspekt ein, ob die Bestimmungen über den Zeitraum, indem die Daten gespeichert werden (7 oder 15 Tage) angemessen sind. Aus der Orientierungshilfe Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen der Datenschutzkonferenz (DSK) vom 17.07.2020 geht indes hervor, dass die Daten nach Erreichung des Zwecks oder wenn diese nicht mehr erforderlich sind unverzüglich zu löschen sind, vgl. Art. 17 Abs. 1 a) DSGVO. Die Empfehlung der DSK beläuft sich auf 72 Stunden.

Aus dem Beschluss des ArbG Hamm geht die Komplexität der Rechtmäßigkeit zur Installation eines Videoüberwachungssystems durch das Ineinandergreifen von arbeits-, verfassungsrechtlichen sowie datenschutzrechtlichen Bestimmungen hervor. Eine sorgfältige Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO ist unerlässlich.

Überdies ist darauf zu achten, dass bei der Aufstellung von Überwachungskameras stets den Informationspflichten aus Art. 13 und 14 DSGVO nachgekommen werden muss.

Wird unternehmensintern erwogen eine Videoüberwachsungsanlage zu installieren, wird die frühzeitige Einbindung des Datenschutzbeauftragten dringend empfohlen.

Christian Krösch