Stand: 7. November 2021

Der BGH hat mit Urteil vom 27.07.2021 – II ZR 164/20 entschieden, dass eine sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB vorliegt, wenn ein Geschäftsführer das als unabwendbar erkannte Ende der Gesellschaft vorsätzlich hinauszögert und dabei die Schädigung der Gesellschaftsgläubiger billigend in Kauf nimmt. Somit verschärft der BGH deutlich die Haftung der Geschäftsführer, wenn eine Gesellschaft künstlich am Leben gehalten wird.

Streitfall

Der Kläger machte gegen den Geschäftsführer eines Fassadenunternehmens einen  Schadensersatzanspruch für Gerichts-, Sachverständiger- und Rechtsanwaltskosten in Höhe von ca. 6.000 € geltend. Zur Begründung führte er aus, dass die Kosten nicht entstanden wären, wenn der Geschäftsführer seiner Insolvenzantragspflicht rechtzeitig nachgekommen wäre.

Zuvor wurden seitens des Unternehmens die Arbeiten nur zu einem geringen Teil fertiggestellt. Nach fruchtloser Fristsetzung zur Fertigstellung hatte der Kläger aufgrund verschiedener Mängel im August 2016 ein selbstständiges Beweisverfahren gegen die Gesellschaft eingeleitet. Im Zuge dessen wurde auf Anordnung des Gerichts ein Sachverständiger mit der Begutachtung der Mängel beauftragt. Wie sich später herausstellte war die die GmbH zu diesem Zeitpunkt bereits längst zahlungsunfähig. Ein Insolvenzantrag wurde bis dato jedoch nicht gestellt.

Noch im selben Jahr erging gegen den Geschäftsführer ein Strafbefehl aufgrund der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung. Anschließend wurde im März 2017 über das Vermögen des Unternehmens das Insolvenzverfahren eröffnet. Der bestellte Insolvenzverwalter lehnte es ab die Kosten für den Sachverständigen aus dem selbstständigen Beweisverfahren zu tragen.

Urteil des Landgerichts

Vorinstanzlich verurteilte das LG Karlsruhe den Geschäftsführer antragsgemäß zu Zahlung der Kosten. Ein entsprechender Anspruch ergebe sich aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 S. 1 InsO. Der Eröffnungsgrund, die Zahlungsunfähigkeit der GmbH, stand bereits seit dem 01.12.2015 fest. Dem Geschäftsführer obliegt die Pflicht, unverzüglich, spätestens jedoch nach drei Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrundes einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen.

Das LG Karlsruhe kam in seinem Urteil zu dem Schluss, dass der Geschäftsführer es schuldhaft unterlassen habe einen entsprechenden Antrag zu stellen und somit billigend in Kauf genommen habe, dass der Kläger ein kostenauslösendes Ereignis (selbständiges Beweisverfahren) angestrengt habe. Die Entscheidung des LG Karlsruhe wurde durch das OLG Karlsruhe bestätigt.

Urteil des BGH

Der Geschäftsführer legte gegen das Urteil des OLG Karlsruhe Revision beim BGH ein. Diese hatte jedoch keinen Erfolg. Im Ergebnis stimmten die Bundesrichter der Entscheidung des OLG Karlsruhe zu. Als Anspruchsgrundlage sahen diese jedoch vielmehr § 826 BGB einschlägig.

In § 826 heißt es:

Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlichen Schaden zufügt, ist dem anderem zum Ersatz des Schadens verpflichtet.

Der BGH stellte fest, dass der beklagte Geschäftsführer seiner Insolvenzantragspflicht nicht nachgekommen ist, obwohl das Unternehmen zahlungsunfähig im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO war, und somit die Kunden des Unternehmens sittenwidrig schädigte.

Zur Sittenwidrigkeit führte der BGH weiter aus, dass die Sittenwidrigkeit der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung daraus resultiere, dass der Geschäftsführer das Unternehmen weiterführte, obwohl er die Insolvenzreife kannte und somit das unabwendbare Ende der Gesellschaft zum Nachteil der Gläubiger hinauszögerte. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Sittenwidrigkeit nicht vorliegt, wenn der Geschäftsführer berechtigterweise die Krise der Gesellschaft für überwindbar hielt, Sanierungsmaßnahmen als berechtigt ansehen durfte und aufgrund dessen keinen Insolvenzantrag stellte. Ein bloßes Hoffen auf bessere Zeiten genügt den Anforderungen der Ausnahme von der Sittenwidrigkeit hingegen nicht.

Der Schutzbereich der vorsätzlich sittenwidrigen Insolvenzverschleppung erfasst alle Personen, die vor der Insolvenzreife des Unternehmens Vertragsbeziehung mit diesen hatten und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet wurden. Kann von der Gesellschaft kein Ersatz mehr für die entstandenen Kosten erlangt werden, so können die aufgewandten Kosten vom Geschäftsführer, der seine Antragsobliegenheit verletzt hat, verlangt werden.

Der Schaden für den Kläger gem. §§ 826, 249 BGB resultiert daraus, dass bei rechtzeitiger Antragstellung der Kläger das selbstständige Beweisverfahren nicht eingeleitet hätte. Des Weiteren besteht zwischen der Insolvenzverschleppung und den entstandenen Kosten des Klägers ein Zurechnungszusammenhang.

Resümee für die Praxis

Das BGH-Urteil ist sowohl für Geschäftsführer als auch für Gläubiger von erheblicher Bedeutung.

Liegt eine vorsätzlich sittenwidrige Insolvenzverschleppung vor, so kann der Geschäftsführer persönlich in Haftung genommen werden. D&O-Versicherungen müssen für ein derartiges Verhalten des Geschäftsführer nicht einstehen.

Im Übrigen sind Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung von der Restschuldbefreiung ausgenommen. Nach Ende der Wohlverhaltensperiode und ggf. Erteilung der Restschuldbefreiung kann der Gläubiger, wenn er seine Forderung zur Tabelle angemeldet hat und diese festgestellt wurde, weiter vollstrecken.

Christian Krösch