Stand: 24. März 2022

Seit einigen Jahren gibt es den Trend, dass sowohl Justiz als auch Gesetzgeber die Compliance-Bemühungen eines Unternehmens belohnen, indem diese rechtlich entsprechend gewürdigt werden. Die Installation eines effizienten Compliance-Systems wird im Falle einer Normverletzung bei der Bemessung der Höhe einer Geldbuße nach § 10 Abs. 1 OWiG berücksichtigt. Und bei fehlerhaften Meldungen an das Finanzamt ist das Bestehen eines internen Kontrollsystems ein Indiz für das Fehlen von Vorsatz und Leichtfertigkeit, was den Geschäftsführer ggf. vor strafrechtlicher Verfolgung bewahren kann. Daraus ergibt sich insgesamt die Frage, ob die Nichteinführung eines Compliance-Systems eine Obliegenheitsverletzung ist und zur Haftung von Gesellschaftsorganen führt.

Der Sachverhalt

Im Juni 2010 hat die Europäische Kommission gegen 17 Hersteller von Badezimmerausstattungen ein Bußgeld in Höhe von 622 Mio. Euro verhängt. Über einen Zeitraum von 12 Jahren haben die 17 Unternehmen in sechs Ländern Preisabsprachen getroffen und schadeten somit Bauunternehmen und Privatpersonen. Zwischen den Jahren 1992 bis 2004 wurden im Rahmen von Zusammentreffen verschiedener Fachverbände Preiserhöhungen, Mindestpreise und Rabatte festgesetzt und zudem geheime Geschäftsinformationen ausgetauscht. Somit lag ein Verstoß gegen die EU-Wettbewerbsregeln vor und ein Zuwiderhandeln gegen Art. 101 AEUV.

Eines der sanktionierten Unternehmen ist die Villeroy & Boch AG (V&B). Das Unternehmen erhob im Zuge dessen Klage gegen ehemalige Vorstandsmitglieder, weshalb sich das LG Saarbrücken u.a. mit Regressforderungen gegenüber Vorstandsmitgliedern in Bezug auf Schäden aus einer Kartellbeteiligung auseinandersetzte.

Die Klägerin stützte ihre Regressforderungen auf § 93 Abs. 2 AktG, wonach Vorstandsmitglieder, die ihre Pflicht verletzen, der Gesellschaft zum Ersatz des entstanden Schadens verpflichtet sind.  Gerügt wurde die mangelhafte Etablierung eines Compliance-Systems.

Das Urteil des LG Saarbrücken

Durch die Anzeige eines Kronzeugen kam es im Jahr 2004 zu Ermittlungen der Europäischen Kommission im Zusammenhang mit möglichen Kartellverstößen. Die Europäische Kommission weitete 2005 ihre Ermittlungen aus, weshalb diese auch an V&B ein Auskunftsersuchen nach Art. 18 Abs. 2 VO 1/2003 richtete. Mit der Beantwortung des Auskunftsersuchens beauftragte V&B eine Rechtsanwältin.

Letztlich wurde mit Beschluss vom Juni 2010 das kartellrechtliche Verhalten der Konzernmutter sowie der Tochtergesellschaften in einer einzigen fortdauernden und komplexen Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen zwischen 1994 und 2004 festgestellt. Gegen V&B wurde ein Bußgeld in Höhe von 71,5 Mio. Euro verhängt.

Vor dem LG Saarbrücken versuchte V&B ehemalige Vorstandsmitglieder des Unternehmens anteilig für die Kartellbuße sowie für die entstandenen Anwaltskosten in Höhe von 3,3 Mio. Euro in Regress zunehmen. Nach Auffassung der Klägerin V&B habe der Vorstand gegen seine Präventions- und Aufsichtspflichten verstoßen, indem er es versäumt habe ein Compliance-System zu installieren, mit welchem Kartellverstöße effektiv hätten verhindert werden können. Die beklagten Vorstandsmitglieder hätten entsprechend der ihn obliegenden Sorgfalt einer ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleitung gem. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG dafür Sorge tragen müssen, dass sich die Gesellschaft an Recht und Gesetz halte.

Die Ansprüche der Klägerin scheitern nach Auffassung des Gerichts an der Verjährung. Die Verjährung beginnt mit der Entstehung des Schadens. Das Gericht vertritt die Ansicht, dass bereits die erste Rechnung der Anwältin im Zusammenhang mit der Beantwortung des Auskunftsersuchen der Kommission ein erster relevanter Teilschaden im Sinne der Schadenseinheit sei. Somit ist für den Beginn der Verjährung die Anwaltsrechnung aus dem Jahr 2005 maßgeblich.

Die Klägerin vertritt hingegen die Ansicht, dass erst mit dem Bußgeldbescheid von 2010 der Schaden entstanden ist, weshalb auch die Ansprüche nicht verjährt sind.

Obwohl nicht streitentscheidend nahm das LG Saarbrücken in einem obiter dictum bezüglich der Haftung von Unternehmensorganen für von der Kommission verhängte Geldbußen Stellung. Das LG Saarbrücken hält kartellrechtliche Geldbußen grundsätzlich für nicht regressierbar. Zur Begründung wird ausgeführt, dass sich Bußgeldbescheide der Kommission gegen Unternehmen richten und nicht gegen Einzelpersonen. Die verhältnismäßig hohen Bußgelder sollen eine abschreckende Wirkungen gegenüber anderen Unternehmen haben. Ein anteiliges Abwälzen der Bußgelder auf Directors-and-Officers-Versicherer (D&O) stünde dieser abschreckenden Wirkung entgegen und widerspräche somit dem EU-Recht. Zwar kennt das deutsche Rechtssystem den Regress gegen Dritte für verhängte Bußgelder (Haftung des Steuerberaters), jedoch seien die Fälle insgesamt nicht vergleichbar.

Dem Urteil nach kommt eine Haftung der Vorstandsmitglieder für die kartellrechtliche Geldbuße n nicht in Betracht.

Schlussfolgerungen

Das Urteil des LG Saarbrücken bringt keine Rechtssicherheit mit sich und ist insgesamt mit Vorsicht zu genießen, da sich das LG nicht streiterheblich geäußert hat. Es hat lediglich in seiner Stellungnahme die Regressfähigkeit der kartellrechtlichen Bußgelder abgelehnt. Bezüglich der Beurteilung, ob kartellrechtliche Bußgelder regressfähig sind, bringt nur ein höchstrichterliches Urteil Rechtssicherheit mit sich.

Des Weiteren erscheint die Beurteilung der Verjährung durch das LG Saarbrücken fraglich. Mitunter sind die Ausführungen des Landgerichts sogar falsch. Dem Urteil entsprechend sei es „faktisch zwingend“ auf Auskunftsersuchen nach Art. 18 Abs. 2 VO 1/2003 zu antworten, wenn das Unternehmen keine Geldbuße aufgrund „mangelnder Kooperation“ entsprechend Art. 23 Abs. 1 a) VO 1/2003 auferlegt bekommen möchte. Diese Ausführung ist jedoch nicht konform mit dem Wortlaut von Art. 18 Abs. 2, 23 Abs. 1 a) VO 1/2003. Nach Art. 23 Abs. 1 a) VO 1/2003 werden Bußgelder bei unrichtigen oder irreführenden Angaben festgesetzt. Ein Bußgeld aufgrund unvollständiger, unrichtiger oder irreführender Angaben oder Angaben, die nicht innerhalb der gesetzten Frist gemacht wurden, kommt lediglich in Betracht, wenn die Kommission durch Entscheidung ein Unternehmen zur Auskunft verpflichtet, Art. 23 Abs. 2 b) VO 1/2003. Vorliegend handelte es sich um ein einfaches Auskunftsersuchen nach Art. 18 Abs. 2 VO 1/2003, jedoch nicht um ein Auskunftsverlangen durch Entscheidung. Da gemäß Art. 23 Abs. 1 a) VO 1/2003 lediglich unrichtige sowie irreführende Angaben bußgeldbewehrt sind, ergibt sich der denklogische Schluss, dass die Beantwortung eines einfachen Auskunftsverlangen der Kommission freiwillig ist. Werden jedoch Angaben gemacht so dürfen diese nicht unrichtig und nicht irreführend sein. Allenfalls ist nicht „mangelnde Kooperation“ ausschlaggebend für ein Bußgeld nach Art. 23 Abs. 1 a) VO 1/2003. Dementsprechend wäre mit der Beantwortung des Auskunftsverlangens der Rechtsanwältin und der damit verbundenen Anwaltsrechnung kein relevanter Teilschaden entstanden und die Verjährungsfrist hätte nicht begonnen.

In diesem Punkt widerspricht das LG Saarbrücken auch dem LG Köln (Urt. v. 10.01.2019 – 22 O 31/18). In diesem schloss sich die Kammer der ständigen Rechtsprechung des BGH zur Steuerberaterhaftung an und entschied, dass für die Frage des Verjährungsbeginns von Organhaftungsansprüchen auf den Zugang des Bußgeldbescheides abzustellen ist.

Compliance-Systeme fallen bei der Beurteilung der Regressfähigkeit von Bußgeldern zunehmend ins Gewicht. An dieser Stelle kann auf das Urteil des LG München I (Urt. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10) im sog. „Neubürger-Fall“ verwiesen werden. Demnach gehört die Einrichtung eines Compliance-Systems zur Gesamtverantwortung des Vorstandes. Anwaltskosten, die durch die Einrichtung eines mangelhaften Compliance-Systems entstehen, können ersetzt werden. Zunehmend wird deutlich, dass sich nicht nur Vorstände rechtskonform verhalten müssen, sondern im Hinblick auf die Legalitätspflicht der Vorstand auch dafür Sorge tragen muss, das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt werden, dass keine Gesetzesverstöße stattfinden. Demnach gehört die Etablierung eines Compliance-Systems zu der Sorgfalt eines gewissenhaften und ordentlichen Geschäftsleiters. Im Übrigen ergibt sich ebenfalls aus den Empfehlungen des dem Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), dass der Vorstand für ein an der Risikolage des Unternehmens ausgerichtetes Compliance Management System sorgen sollte, um für die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen und der internen Richtlinien zu sorgen und um auf deren Beachtung hinzuwirken. Zwar ist der DCGK nicht verpflichtend, jedoch müssen Vorstand und Aufsichtsrat entsprechend § 161 Abs. 1 AktG jährlich erklären, dass den Empfehlungen des DCGK entsprochen wurde bzw. begründet Auskunft geben, welchen Empfehlungen nicht entsprochen wurde.

Auch im GmbHG findet sich eine Anspruchsgrundlage (§ 43 Abs. 2 GmbHG) für die Schadensersatzpflicht aufgrund von Obliegenheitsverletzungen von Geschäftsführern einer GmbH.

Die eingangs gestellte Frage, ob die unterlassene Einrichtung eines Compliance-Systems eine Obliegenheitsverletzung darstellt, ist tendenziell zu bejahen und aus unserer Sicht ist die Etablierung eines vollumfänglichen Compliance-Systems für Unternehmen unerlässlich. Dennoch ist zu beachten, dass ein mangelhaftes Compliance Management System nicht in jedem Fall eine Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne des § 93 AktG, § 43 GmbHG darstellt. Es bedarf grundsätzlich immer einer Einzelfallbetrachtung.

Christian Krösch